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Der Illusionist aus Paris

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Seit 50 Jahren ist Gilbert Libermann als “Gilbert the charlatan” in Deutschland und Frankreich unterwegs.

Jedes Jahr fährt “Gilbert the Charlatan” in seinem umgebauten Lastwagen nach Dortmund zum Hansemarkt. Sein Lastwagen – der ist zugleich sein Auto, seine Wohnung und seine Bühne. Der 63-Jährige ist ein Artist, ein Maschinenmensch und ein Illusionist. Er spuckt Feuer, führt Zaubertricks vor und präsentiert seinen Mini-Flohzirkus mit Fifine, seinem einzigen Floh.

Während viele Schausteller die letzten Latten an die Tribüne der Schwertkampfarena schrauben, und noch keines der Fahrgeschäfte auf der Nostalgie-Kirmes geöffnet hat, gibt der fahrende Gaukler „Gilbert the Charlatan” bereits seine erste Show auf dem mittelalterlichen Markt in der Dortmunder Innenstadt.

Er steht vor der heruntergelassenen Ladeklappe seines LKWs, bei mehr Besuchern hätte er sie vielleicht als Bühne benutzt, aber jetzt gucken ihm nur rund ein dutzend Leute dabei zu, wie er einen glühenden Zigarettenstummel in der Jacke eines kleinen Mädchens versenkt. Er breitet die Jacke aus. Natürlich ist das Kleidungsstück unversehrt, die Überbleibsel der Zigarette verschwunden. Der Zaubertrick ist zu Ende, niemand klatscht. Nur das kleine Mädchen kriegt sich vor Lachen nicht mehr ein. Gilbert bittet um Applaus, die Runde klatscht verhalten. Der Künstler zieht sich in seinen LKW zurück und zündet die nächste Zigarette an. 

Als Automatenmensch nach Deutschland

In Frankreich geboren, sei er als kleiner Junge in Heimen aufgewachsen. Bis er mit 13 Jahren dort ausgebrochen sei, erzählt “Gilbert the Charlatan”, der in Wirklichkeit Gilbert Liberman heißt. „Am Eingang der U-Bahn stand immer ein Mann, der seine Stärke zur Schau gestellt hat. Zu dem habe ich gesagt: ‚Ich möchte den Automatenmenschen machen’. Daraufhin meinte er: ‚Du bist noch zu jung’.” Doch Gilbert habe sich Frauenschminke besorgt, sich geschminkt und sei zurück zum U-Bahn Eingang gegangen. „Ich bin jetzt geschminkt, jetzt möchte ich den Automatenmenschen machen“, sagte der junge Gilbert.

„Der Mann hat mich dann den Leuten als seinen armen, abgemagerten Sohn vorgestellt. Die Leute hatten Mitleid und ich meine erste Show. Ich hab dem Mann seine Sachen getragen und dafür gab er mir Geld für Essen oder eine heiße Schokolade.“ Mit der Zeit habe Gilbert Akrobaten auf der Straße kennengelernt, Feuerspucker und andere Pariser Straßenkünstler. „Mit 16 habe ich mich dann mit meiner Show selbstständig gemacht. Da war meine Hütte immer voll”, sagt er mit französischem Akzent.

draußen

Seine erste Nummer als Automatenmensch sollte ihn aber noch weiter bringen. Denn die Nummer ist in Deutschland so beliebt gewesen, dass er dort fast bekannter wurde als in Frankreich. Er lernte die deutsche Sprache, trat bei “Wetten, dass?” auf. Stolz deutet er auf die Rückwand seines LKWs, wo irgendwo zwischen hunderten kleiner Fotos das Beweisbild mit ihm und Gottschalk hängen soll.

Lustige Ablenkung statt ernster Kunststücke

Im Gegensatz zu vielen Schaustellern, die die Aufsicht über ihre Fahrgeschäfte in der Familie behalten, wollte Gilberts Tochter nichts von dem Gewerbe ihres Vaters wissen. Sie habe studiert und arbeite jetzt für einen Pharmaziekonzern. Das gibt Gilbert zu denken. Was, wenn sich auch das Publikum irgendwann nicht mehr für seine Kunst interessiert? “Schwertschlucker, Fakirs die sich in Glasscherben.. wie nennt man das?“, fragt der Franzose, „gewälzt haben, all das gibt es heute nicht mehr. Heute wollen die Leute andere, lustige Gaukler, die Leute brauchen lustige Sachen. Nicht mehr so was Ernstes. Hypnose… keiner glaubt heute noch an Hypnose, aber damals konnte man damit machen, was man wollte.”

Das sich wandelnde Interesse der Zuschauer hält Gilbert aber für das geringere Übel, was das Aussterben der Gaukler angeht. Die größeren Probleme hat er mit dem zunehmenden bargeldlosen Bezahlen. “Irgendwann hat niemand mehr Münzen. Ich glaube kaum, dass irgendjemand nach seiner Vorstellung mit so einem Ding rumgeht und nach 50 Cent fragt”, sagt Gilbert und lacht. Solange sich das Publikum noch von ihm begeistern lasse und er Erfolg habe, will der 63-Jährige aber weitermachen. 

Die Freiheit ist das Wichtigste

Spiegelung und Buch

Die Unsicherheiten, die sein Geschäft mit sich bringen, nimmt er in Kauf.  „Wir haben unsere Freiheit. Manchmal arbeiten wir fünf Tage da und drei Tage dort. Wir entscheiden, wann wir arbeiten. Wir stehen auf, wir gucken auf den Plan und sagen: ‚Ach guck mal, da ist ne Stadt, lass und da arbeiten, da war ich noch nicht’”, erklärt er. „Ich glaube für alle Gaukler und Schausteller steht die Freiheit an erster Stelle. Die Liebe an unserer Arbeit steht an zweiter Stelle. Das Geld kommt erst an dritter und nicht, wie viele denken, an erster Stelle.”

Gilbert lebt von Illusionen, vielleicht sind seine Erzählungen es auch. So, wie Fifine, sein einziger Floh, der, im Gegensatz zu den Flöhen im Flohzirkus nebenan, unsichtbar ist. Oder wie das Loch, das er während seiner Aufführung in die Jacke des kleinen Mädchens gebrannt hat. Doch eines ist klar: Die Leidenschaft des reisenden “Charlatans” für seinen Beruf ist genauso echt wie die Zigarette, die er im vollen Aschenbecher ausdrückt. Oder die Freude des kleinen Mädchens, dem Gilbert nach seinem Zaubertrick noch ein Luftballon-Tier schenkt.

Beitrags-und Teaserbild: Lukas Arndt


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