Quantcast
Channel: Kunst – pflichtlektüre
Viewing all 33 articles
Browse latest View live

“Ich will nicht der Vierundvierzigste sein”

$
0
0

An vielen Stellen in Mexikos Städten finen sich bunte Solidaritätsbekundungen mit den 43 und ihren Familien. Foto: Sortica/wikimedia 

Auch sechs Monate nach dem Verschwinden von 43 Studenten aus dem südmexikanischen Ayotzinapa prägen die Ereignisse das öffentliche Leben in dem lateinamerikanischen Land. Die Proteste gehen unvermindert weiter, getragen von der breiten Bevölkerung – und unterstützt von politisch engagierten Musikern, Künstlern und Filmemachern.

Aus dem Lüftchen wird ein Sturm. „Vivos se los llevaron, vivos los queremos“ – lebend habt ihr sie uns genommen, lebend wollen wir sie wieder zurück – hat der mexikanische Reggae-Sänger Lengualerta gerade über sein Mikrofon angestimmt, ehe der Ruf aus dutzenden Kehlen auf die Bühne eines kleinen Konzertsaals in Mexiko-Stadts Ausgehviertel La Roma zurückschallt und die Boxentürme die Bässe des nächsten Songs in den Raum pressen.

„Vivos se los llevaron, vivos los queremos“, das ist der Klageruf, den heute, sechs Monate nach dem Verschwinden der 43 Studenten aus dem südmexikanischen Dörfchen Ayotzinapa, wieder viele tausend Menschen durch Mexikos Straßen brüllen werden. Die Regierung hat die Studenten mittlerweile für tot erklärt, doch das Land hat die 43 nicht vergessen. Entsetzen und Verzweiflung haben die schläfrige Lethargie zerschlagen, die lange über Mexiko lag und gewaltsame Entführungen und Morde zur Normalität werden ließ. Und inmitten des Protests stehen mexikanische Künstler wie Lengualerta als mahnende Beobachter einer erwachten Gesellschaft

Das Verschwinden der 43

Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem die soziale Situation explodiert ist“, sagt der Sänger. „Ayotzinapa war der Gipfel von allem, der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat nach den ganzen Vermisstenfällen, die wir in den vergangenen Jahren ertragen haben.“

Korruption und Gewalt als zeitlose Themen

Lengualerta, klein und mager, mehr Pimpf als Krieger, ist mit seinem zotteligen Vollbart der Gegenentwurf des Latin-Popstars und vielleicht auch deshalb einer der populärsten politischen Songwriter des Landes. Auf Reggae-Beats und Latino-Melodien feuert er Lines gegen die scheinbar zeitlosen Themen des Landes: Korruption und Gewalt, Ausbeutung und Ungleichheit. Sein Song „For Those“, eine emotionale Wortsalve gegen die systematische Entführung Unschuldiger, erschien schon im vergangenen Sommer auf seinem jüngsten Album „Aurora“.

Nach dem Verschwinden der 43 teilten Tausende den Song in den sozialen Netzwerken. „For Those“ wurde zu einer Hymne der Protestbewegung und Lengualerta zu einer ihrer Stimmen. Mit dem befreundeten Videokünstler Gran OM besuchte er im Herbst die „Escuela Rural Normal“, die Schule der verschwundenen Studenten, und drehte dort einen dokumentarischen Videoclip für seinen Song. Auf leere Stühle gepinnte Fotografien der Studenten in leeren Klassenräumen symbolisieren darin den Verlust. „Der Clip ist eine Hommage an die 43“, sagt Lengualerta.

Die Kulturszene ist eine treibende Kraft in Mexikos Protestbewegung. Schon unmittelbar nach den Geschehnissen im Herbst wandte sie sich als wütendes Korrektiv gegen die Staatsgewalt: Vertreter der wichtigsten kulturellen Zentren und Ausbildungsstätten veröffentlichten eine gemeinsame Erklärung, in der sie die Verwicklung des Staates in die Geschehnisse in Iguala anklagten, und trugen die Botschaft mit Performances und Demonstrationsmärschen an die Öffentlichkeit.

Darstellende Künstler malten Porträts der Studenten und veröffentlichten sie in einem Blog, kritische Filmemacher veranstalten als „Cineastas con Ayotzinapa“ bis heute Assambleas, also Versammlungen, in der „Cineteca Nacional“ in Mexiko-Stadt und versuchen mit ihren Projekten die kritische Gegenöffentlichkeit zu den regierungsnahen Massenmedien zu bilden, in denen nach Meinung vieler Mexikaner meist nur die halbe Wahrheit erzählt wird.

In der Dokumentation „Un día en Ayotzinapa“ bekommen vor allem Angehörige der Studenten Raum für Wut und Trauer. „In dieser Situation zu schweigen wäre kriminell“, sagt der Filmemacher Epigmenio Ibarra. „Kunst muss in dieser Situation das Gewissen sein, Kunst rührt an Gefühlen, Kunst bietet die Möglichkeit zur Kommunikation über die Verhältnisse.“

Lange politische Tradition

Politische Kunst hat in Mexiko eine lange Tradition. Zu Zeiten der Revolution in den 20er-Jahren entstand der Muralismo, eine Bewegung um die bis heute verehrten Maler José Clemente Orozco, Diego Rivera und David Alfaro Siqueiros. Großflächig pinselten sie sozialkritische Gemälde für die in großen Teilen analphabetische Bevölkerung auf die Häuser ihrer Stadt.

Mexikos zeitgenössische Street-Art-Szene, gewissermaßen die Erben der Muralistas, folgen dieser politischen Tradition, sagt Jenaro de Rosenzweig, einer der Gründer des Kollektivs „Street Art Chilango“, das auf einer Facebook-Seite Straßenkunst aus dem ganzen Land sammelt. De Rosenzweig sitzt im von Kunstwerken bunt-gescheckten Atelier und Büro des Kollektivs im Zentrum von Mexiko-Stadt. Die großen Demonstrationszüge, die jeden Monat aufs Neue Zehntausende durch die Straßen der Hauptstadt treiben, führen direkt unter seinem Fenster vorbei.

Im vergangenen halben Jahr sind auf jeden Fall deutlich mehr kritische Botschaften in der Stadt hinterlassen worden“, sagt de Rosenzweig. Die Zahl 43 und das Wort Ayotzinapa sind zu simplen Symbolen des Protests geworden, die man überall in der Stadt wiederfindet, oft ergänzt durch einfache Sprüche wie „Fue el estado“ (Es war der Staat) oder „No quiero ser la 44“ (Ich will nicht der Vierundvierzigste sein).

Ein Porträt für jeden der 43. Foto: Illustradores con Ayotzinapa

Ein Porträt für jeden der 43. Foto: Illustradores con Ayotzinapa

Protest hat den Mainstream erreicht

Ein Künstler überklebte den Namen einer Metro-Station mit dem Wort „Normalista“, einem Synonym für die Lehramts-Studenten von den Escuelas Normales, zu denen auch die 43 gehörten. „Am Anfang ging es vor allem darum, sich spontan und mittelbar auszudrücken, mit Sprüchen und Schriftzügen“, erklärt de Rosenzweig. „Jetzt entstehen besser ausgearbeitete, ästhetischere Werke mit subtiler Botschaft.“ Der visuelle Protest, so sagt er, entwickle sich weiter.

Auch Sänger Lengualerta hat eine grundlegende Entwicklung festgestellt. Anders als früher, sagt er, beteiligten sich plötzlich auch Künstler aus dem Mainstream, jüngst etwa zahlreiche Bands bei “Vive Latino”, einem der größten Festivals für lateinamerikanische Rockmusik. Leute, von denen er noch nie eine politische Meinungsäußerung gehört habe, hätten plötzlich im Fernsehen und auf Konzerten Stellung bezogen. Das sei, bei all der Tragik, vielleicht das Positive an den Geschehnissen. „Ich hoffe“, sagt er, „dass es ist nicht nur eine Mode ist.“

Beitragsbild:  Foto: Sortica/wikimedia


Der Breitmaulfrosch: Ist lässig das neue schick?

$
0
0

Kolumne_Jasmin

Ob Poetry-Invasion, Grüne Smoothies oder die hippesten Hipster-Klamotten – über Kunst, Lifestyle, Mode und Kultur lässt sich gut das Maul zerreißen. Ein chronischer Maulzerreißer ist der Breitmaulfrosch, der an dieser Stelle merkwürdige Trends aufs Korn – und dabei kein Seerosenblatt vor den Mund nimmt. Heute taucht er ein in den lässigsten Dresscode der Moderne. Weshalb läuft die ganze Welt neuerdings in Turnschuhen und Jogginghose rum? Ist abgeranzt das neue Chic? 

Turnbeutel in diversen Farbvariationen, klobige Sneakers, löchrige Boyfriendjeans und weiße Tennissocken auf deutschen Straßen verkünden es: Die Eleganz ist tot. Die verführerische Abendgarderobe und der adrette Buisnesslook sind wohl bald Reliquien vergangener Zeit. Der mit den Stylingregeln vertraute Modekenner trägt nun sportliche Sneakers zum Abendkleid, der Hipster, der etwas auf sich hält Turnbeutel und Nike Airs.

Der Eroberungszug der Lässigkeit nimmt vom heimischen Kleiderschrank bis zur Haute Couture alles in Beschlag. Noch allumfassender und penetranter präsentiert sich dieser Trend als etwa die Longchamp-Tasche oder der UGG Boot. Während erstere rund zwei Saisons in Form von Nylonbeuteln an den Armen junger Möchtegern-Society-Ladies hing, präsentierte sich letzterer als schlurfende, zwar bequeme, aber äußerst unvorteilhafte, pantoffelähnliche Fußbekleidung.

Die Illusion des Nichtkümmerns

Wird nicht bald ein Gegenmittel für diesen Virus gefunden, übernehmen Beuteltiere und Turnschuhhelden die Modeherrschaft. Schick ist out und Lässigkeit wird zum obersten Gebot der gegenwärtigen Kleidungskultur. Doch warum avancierte die zur Schau gestellte Bequemlichkeit zur Maxime der Mode?

Ihr größter Trumpf, ihr Lebenselixier, ihr heiliger Gral ist die Illusion. Lässigkeit heißt Unachtsamkeit, heißt, sich vermeintlich nicht um das äußere Erscheinungsbild zu kümmern. Und bitte, eine größere Illusion hätte sich die gewiefte Modewelt nun nicht einfallen lassen können. Die durchkomponierte Lässigkeit wird zum entscheidenden Oxymoron der Modewelt, sie wird zur Travestie der Bemühtheit.

Wenn der vermeintliche Modekenner sich nun in das Gewand der legeren Lässigkeit hüllt, offenbart er eben in diesem Akt seine verbissenen Bemühungen genau dieses Bild verkörpern zu wollen: Wenn jede Strähne des Messy Hairs im Vorhinein genauestens arrangiert, jedes Loch in der Jeans präzise gesetzt wurde und der Undone-Look in Wahrheit modische Vollendung  bedeutet, wird klar, welches Spiel die Mode mit uns spielt.

Alles easy

Der Lässigkeitstrend vereint Mode und Anti-Mode und ist deshalb so attraktiv. Er ist ein Trend der Ambivalenz: es ermöglicht sich eine gleichzeitige Distanzierung von der Mode und Offenbarung als ihr größter Verehrer. Denn zum einen wird der abgetragene Sportschuh zum Statement modischen Desinteresses, zum anderen bekundet seine Inszenierung Stilbewusstsein.

Was könnte der Zerrissenheit des modernen Menschen wohl mehr entgegen kommen? Die Lässigkeit ist aus der Mode nicht mehr wegzudenken. Sie vertuscht ihre Affektiertheit und neutralisiert ihre Abgehobenheit. Und wenn sogar Karl Lagerfeld bei Chanel die Banalität der Jogginghose in der Herbst-/ Winterkollektion 2014/15 modisch erhöht, heißt die Devise des 21. Jahrhunderts: Alles easy.

 

Beitragsbild: Helena Brinkmann

Kunst im Kiosk: Wenn Süßes mit saurem tauscht

$
0
0

kunstbonbon schaper

Im Mai hat in Dortmund eine neue Galerie eröffnet. Sie liegt in der Chemnitzer Straße und zeigt insbesondere die Arbeiten regionaler Künstlerinnen und Künstler. Die aktuelle Ausstellung „Objekte“ von Ilse Hilpert war Anlass für pflichtlektuere.com, sich den neuen Dortmunder Kunstraum einmal anzusehen.

In der Chemnitzer Straße können Passanten eine neue Galerie bestaunen. Es ist das Kunstbonbon, das aus dieser Lage in der Stadt seinen Vorteil ziehen will – denn die Galerie ist vom Stadtgarten aus gut erreichbar und somit nur eine Stadtbahn-Station von der Innenstadt entfernt.

Im blauen Haus

„Wir profitieren auch von dieser lebendigen Straße. Es gibt viele Passanten hier. Die können die Ausstellung schon von außen sehen“, sagt Karin Schmidt, Betreiberin des Kunstbonbons. Mit ihrer blauen Fassade fällt die Galerie Vorbeilaufenden schon von weitem auf.

Kunstbonbon ist eine Idee von Karin Schmidt und ihrem Freund Jörg Gerlings. Der Name der Galerie soll sich auf den ehemaligen Kiosk beziehen, in dessen vier Wänden das neue, kreative Bonbon untergekommen ist. Ein Bonbon der Kunst, sozusagen, das an die unzähligen Kioske im Pott erinnert. Wo vorher süße Bonbons lagen und gemischte Tüten über die Theke gingen, stößt manches nun sauer auf. Vieles ist nun Kritik oder auch mal trist, doch immer bleibt es im Kunstbonbon bunt und manchmal wird es albern, überdreht, extravagant.

Aus der Region

Dieses neue Bonbon ist ein Hobby. Ein teures, komplett finanziert durch private Gelder. Es ist ein Hobby, das eine Leidenschaft in die Tat umsetzt, den Traum real macht. Schmidt und Gerlings sind selbst Künstler. Auch ihre Arbeiten sind zu einem Teil in der Galerie zu sehen.

Das Kunstbonbon widmet sich insbesondere den Künstlerinnen und Künstlern der Region. „Die Menschen, die bei uns ausstellen, kommen aus Nordrhein-Westfalen. Wir wollen nicht nur bekannte Artists“, sagt Karin Schmidt, „sondern auch junge, neue Künstler“. Seit dem 20. Juni ist zeigt die Galerie die Arbeit von Ilse Hilpert. Sie ist eine bekanntere Künstlerin – jedoch bislang noch nicht in Dortmund. Andere stellen im Kunstbonbon zum ersten Mal aus, können sich hier einen Namen machen.

Schmidt und Gerlings richten sich auch an ein Publikum aus der Region. Und die Betreiberin hat sogar eine ganz spezielle Zielgruppe: „Ich suche Menschen, die der Kunst ein bisschen ängstlich gegenüber stehen. Also solche, die eigentlich keinen Fuß in eine Galerie setzen würden“, sagt Karin Schmidt.

Im Auge des Betrachters

Sie verlässt sich da auf ihre Leidenschaft, Kunst diesen Menschen näher zu bringen und ihnen die Angst etwas nicht zu verstehen, zu nehmen. In der Ein-Zimmer-Galerie ist das leichter, als etwa in einem verwinkelten Museum. Hier rücken alle näher zusammen.

Ilse Hilpert, die aktuell im Kunstbonbon zu sehen ist, nannte ihre Ausstellung „Objekte“. Aus allen Werkstoffen, die die Künstlerin so findet, erstellt sie diese Objekte. Da ist zum Beispiel ein Bund von Trinkhalmen, aber auch ein Gemälde, dessen leuchtende Farben von Bonbons statt etwa Öl oder Acryl stammen. Im Kunstbonbon arbeitet die Waltroper Künstlerin vornehmlich mit Plastik. Was die Objekte so stark macht, ist die eigene Interpretation der Dinge. Jeder sieht etwas anderes, verbindet etwas persönliches mit den Dingen. Die Trinkhalmskulptur etwa erinnert an eine Mondfähre – und zugleich hätte Karin Schmidt dergleichen nie darin gesehen.

Mit kritischem Blick

Die Hauptintention der Schau ist, die Gesellschaft und ihren übermäßigen Konsum zu kritisieren. Hilpert will zeigen, dass Objekte des täglichen Lebens eben nicht nur dazu da sind, konsumiert oder benutzt zu werden. Sie können auch Kunst sein. Überhaupt ist ihr wichtig, einen kritischen Blick auf standardisierte Verhaltensweisen zu richten. Ein Stück Brot mit Fliegen etwa steht für den verschwenderischen Umgang mit Lebensmitteln.

Ilse Hilperts „Objekte“ läuft noch bis zum 25. Juli. Vielleicht schafft es das Kunstbonbon mit dieser Schau, nicht nur die Angst vor der Kunst zu nehmen. Vielleicht ändert sich beim Besucher auch die Sicht auf die Dinge, die Objekte. Die Galerie Kunstbonbon an der Chemnitzer Straße 11 hat dienstags von 13 bis 18, freitags von 15 bis 20 und am Samstag von 12 bis 15 Uhr geöffnet.

Beitragsbild: Oliver Schaper

Es wird politisch: Neues am Dortmunder Schauspiel

$
0
0

Premiere von "Die Show"

Die kulturelle Durststrecke am Dortmunder Stadttheater hat ein Ende: Vor einem Monat startete die neue Eigenproduktion “DIE SHOW” mit einem Knall, am Samstag sorgte eine Inszenierung des Berliner Künstlerkollektiv Zentrum für Politische Schönheit mit dem Stück “2099” deutschlandweit für Aufregung. Was in dieser Spielzeit noch zu erwarten ist und welche Bilanz das Schauspiel nach dem ersten Jahr Theaterflatrate für Studierende zieht.

Jaguarbaby Raja hat Glück gehabt. Im Vorfeld der Premiere von “2099” am Dortmunder Schauspiel hatte das Zentrum für Politische Schönheit angekündigt, das Tier aus dem Dortmunder Zoo im Anschluss an ihre “Entlarvung der verlogenen Doppelmoral einer bürgerlichen Gesellschaft” zu erschießen. Noch bevor sich die Aktion als künstlerische Provokation heraus stellte, hatte sich Intendant Kay Voges davon sicherheitshalber distanziert. Mit diesem Paukenschlag war dem Schauspiel schon vor Start der Spielzeit überregionale Presse garantiert.

Doch auch ohne die prominenten Gäste aus der Hauptstadt testet das Schauspiel in der gerade angelaufenen Saison seine Grenzen aus: mit “Besessen” kommt ein Horrorstück ab 18 auf die Bühne, “Die Möglichkeit einer Insel” wird komplett animiert. Generell gilt wie schon in den letzten Jahren: Video ist ein Muss!

Nicht verpassen! - Die Highlights der neuen Spielzeit

Dank der Theater-Flatrate, die vor einem Jahr eingeführt wurde, können Dortmunder Studierende all diese Stücke gratis sehen. Die Bilanz nach dem ersten Jahr ist positiv: Über 5000 TU-Tickets wurden herausgegeben, davon entfiel rund die Hälfte auf das Schauspiel. Stark vertreten waren auch die Oper und das Ballett mit jeweils circa 20 Prozent. “Die Nachfrage hat unsere Erwartungen übertroffen”, sagt Alexander Kalouti, Leiter der Pressestelle. Noch eine gute Nachricht: Zumindest diese Spielzeit bleibt Kultur für Studis kostenlos, über eine Fortsetzung der Kooperation wird schon diskutiert. Auch Studierende der TU stehen der Theaterflatrate positiv gegenüber, obwohl nicht jeder sie nutzt.

 

Umzug in den Megastore

Die größte Änderung am Theater ist sicherlich der Wechsel der Spielstätte mitten in der Saison. Während das Schauspielhaus im Theaterkarree renoviert wird, zieht das Schauspiel in unübliche Räumlichkeiten: in den Megastore des BVB nach Hörde. “Darauf sind wir selbst gespannt”, sagt Pressesprecherin Djamak Houmayon. Der Store sei ein “neu entdeckter Theaterort mit Werksatmosphäre”, den das Publikum Anfang 2016 besichtigen kann. Ein neuer Raum für Ideen, für den das Schauspiel noch einige Überraschungen bereit hält. Schon im Oktober kommt ein extra Programm mit Stücken speziell für die neue Location heraus.

Beitragsbild: Birgit Hupfeld/Pressefoto Theater Dortmund

Der Illusionist aus Paris

$
0
0
Beitragsbildbesser

Seit 50 Jahren ist Gilbert Libermann als “Gilbert the charlatan” in Deutschland und Frankreich unterwegs.

Jedes Jahr fährt “Gilbert the Charlatan” in seinem umgebauten Lastwagen nach Dortmund zum Hansemarkt. Sein Lastwagen – der ist zugleich sein Auto, seine Wohnung und seine Bühne. Der 63-Jährige ist ein Artist, ein Maschinenmensch und ein Illusionist. Er spuckt Feuer, führt Zaubertricks vor und präsentiert seinen Mini-Flohzirkus mit Fifine, seinem einzigen Floh.

Während viele Schausteller die letzten Latten an die Tribüne der Schwertkampfarena schrauben, und noch keines der Fahrgeschäfte auf der Nostalgie-Kirmes geöffnet hat, gibt der fahrende Gaukler „Gilbert the Charlatan” bereits seine erste Show auf dem mittelalterlichen Markt in der Dortmunder Innenstadt.

Er steht vor der heruntergelassenen Ladeklappe seines LKWs, bei mehr Besuchern hätte er sie vielleicht als Bühne benutzt, aber jetzt gucken ihm nur rund ein dutzend Leute dabei zu, wie er einen glühenden Zigarettenstummel in der Jacke eines kleinen Mädchens versenkt. Er breitet die Jacke aus. Natürlich ist das Kleidungsstück unversehrt, die Überbleibsel der Zigarette verschwunden. Der Zaubertrick ist zu Ende, niemand klatscht. Nur das kleine Mädchen kriegt sich vor Lachen nicht mehr ein. Gilbert bittet um Applaus, die Runde klatscht verhalten. Der Künstler zieht sich in seinen LKW zurück und zündet die nächste Zigarette an. 

Als Automatenmensch nach Deutschland

In Frankreich geboren, sei er als kleiner Junge in Heimen aufgewachsen. Bis er mit 13 Jahren dort ausgebrochen sei, erzählt “Gilbert the Charlatan”, der in Wirklichkeit Gilbert Liberman heißt. „Am Eingang der U-Bahn stand immer ein Mann, der seine Stärke zur Schau gestellt hat. Zu dem habe ich gesagt: ‚Ich möchte den Automatenmenschen machen’. Daraufhin meinte er: ‚Du bist noch zu jung’.” Doch Gilbert habe sich Frauenschminke besorgt, sich geschminkt und sei zurück zum U-Bahn Eingang gegangen. „Ich bin jetzt geschminkt, jetzt möchte ich den Automatenmenschen machen“, sagte der junge Gilbert.

„Der Mann hat mich dann den Leuten als seinen armen, abgemagerten Sohn vorgestellt. Die Leute hatten Mitleid und ich meine erste Show. Ich hab dem Mann seine Sachen getragen und dafür gab er mir Geld für Essen oder eine heiße Schokolade.“ Mit der Zeit habe Gilbert Akrobaten auf der Straße kennengelernt, Feuerspucker und andere Pariser Straßenkünstler. „Mit 16 habe ich mich dann mit meiner Show selbstständig gemacht. Da war meine Hütte immer voll”, sagt er mit französischem Akzent.

draußen

Seine erste Nummer als Automatenmensch sollte ihn aber noch weiter bringen. Denn die Nummer ist in Deutschland so beliebt gewesen, dass er dort fast bekannter wurde als in Frankreich. Er lernte die deutsche Sprache, trat bei “Wetten, dass?” auf. Stolz deutet er auf die Rückwand seines LKWs, wo irgendwo zwischen hunderten kleiner Fotos das Beweisbild mit ihm und Gottschalk hängen soll.

Lustige Ablenkung statt ernster Kunststücke

Im Gegensatz zu vielen Schaustellern, die die Aufsicht über ihre Fahrgeschäfte in der Familie behalten, wollte Gilberts Tochter nichts von dem Gewerbe ihres Vaters wissen. Sie habe studiert und arbeite jetzt für einen Pharmaziekonzern. Das gibt Gilbert zu denken. Was, wenn sich auch das Publikum irgendwann nicht mehr für seine Kunst interessiert? “Schwertschlucker, Fakirs die sich in Glasscherben.. wie nennt man das?“, fragt der Franzose, „gewälzt haben, all das gibt es heute nicht mehr. Heute wollen die Leute andere, lustige Gaukler, die Leute brauchen lustige Sachen. Nicht mehr so was Ernstes. Hypnose… keiner glaubt heute noch an Hypnose, aber damals konnte man damit machen, was man wollte.”

Das sich wandelnde Interesse der Zuschauer hält Gilbert aber für das geringere Übel, was das Aussterben der Gaukler angeht. Die größeren Probleme hat er mit dem zunehmenden bargeldlosen Bezahlen. “Irgendwann hat niemand mehr Münzen. Ich glaube kaum, dass irgendjemand nach seiner Vorstellung mit so einem Ding rumgeht und nach 50 Cent fragt”, sagt Gilbert und lacht. Solange sich das Publikum noch von ihm begeistern lasse und er Erfolg habe, will der 63-Jährige aber weitermachen. 

Die Freiheit ist das Wichtigste

Spiegelung und Buch

Die Unsicherheiten, die sein Geschäft mit sich bringen, nimmt er in Kauf.  „Wir haben unsere Freiheit. Manchmal arbeiten wir fünf Tage da und drei Tage dort. Wir entscheiden, wann wir arbeiten. Wir stehen auf, wir gucken auf den Plan und sagen: ‚Ach guck mal, da ist ne Stadt, lass und da arbeiten, da war ich noch nicht’”, erklärt er. „Ich glaube für alle Gaukler und Schausteller steht die Freiheit an erster Stelle. Die Liebe an unserer Arbeit steht an zweiter Stelle. Das Geld kommt erst an dritter und nicht, wie viele denken, an erster Stelle.”

Gilbert lebt von Illusionen, vielleicht sind seine Erzählungen es auch. So, wie Fifine, sein einziger Floh, der, im Gegensatz zu den Flöhen im Flohzirkus nebenan, unsichtbar ist. Oder wie das Loch, das er während seiner Aufführung in die Jacke des kleinen Mädchens gebrannt hat. Doch eines ist klar: Die Leidenschaft des reisenden “Charlatans” für seinen Beruf ist genauso echt wie die Zigarette, die er im vollen Aschenbecher ausdrückt. Oder die Freude des kleinen Mädchens, dem Gilbert nach seinem Zaubertrick noch ein Luftballon-Tier schenkt.

Beitrags-und Teaserbild: Lukas Arndt

TU-Kunstprojekt fordert: weniger chatten, mehr reden

$
0
0

Seit Montag zeigt der mobile Ausstellungsraum „Dienstwagen“ ein neues Projekt: Der Wohnwagen, der auf dem Campus der TU Dortmund  zwischen S-Bahn Station und Emil-Figge-Straße 50 steht, hat sich in einen WhatsApp-Chat verwandelt. Die Fenster des Wagen sind mit vergrößerten Screenshots beklebt, auf dem Dach des Wagens ragt ein rot durchgestrichenes WhatsApp-Symbol und es tönen die bekannten Nachrichtensignale aus dem Inneren.

Das ganze ist ein Projekt von den drei Studierenden Julia Bienemann, Ruben Jacobowsky und Dennis Swienty des Seminars für Kulturanthropologie des Textilen. Ihr Projekt ist eines von dreien, das in den letzten drei Wochen in dem mobilen Ausstellungsraum auf dem Campus präsentiert wird.

Sie fordern damit mehr Kommunikation abseits von Kurznachrichten-Anwendungen wie WhatsApp. Aus dem Lautsprecher tönt deshalb eine 20-minütige Audiodatei einer jungen Frau, die sich in jeder Lebenslage mehr auf die WhatsApp-Nachrichten konzentriert als auf irgendetwas anderes. Dennis Swienty über das Projekt: „Das ist kein WhatsApp-Boykott! Wir nutzen das selber. Wir rufen damit auf, wieder mehr direkten Kontakt zu seinen Mitmenschen zu pflegen.“

Das Projekt ist noch bis Freitag, täglich von 10-16 Uhr, auf dem Campus ausgestellt.

Eine „Smombie“-Falle auf dem Campus

$
0
0
 

Dennis, Julia und Ruben appellieren für mehr Kommunikation abseits des Smartphones.

Seit Montag schnappt sie zu: Die „Smombie“-Falle. Vor allem zu den Stoßzeiten auf dem Campus der TU Dortmund lockt ein Wohnwagen zwischen der S-Bahn-Station und der Emil-Figge-Straße 50 mit ungewöhnlichen Tönen und einer Gestaltung à la Whatsapp viele Smartphone-Zombies an. „Piep, piep“, „Hallo?“, dröhnt es auf den eigentlich ruhigen Weg.

Die Töne sind durch die Kurznachrichten-Anwendung Whatsapp bekannt. Die Gespräche einer jungen Frau und ihre deutliche Unachtsamkeit in der Welt abseits ihres Smartphones kommen auch vielen der Studenten bekannt vor. Sie, die sonst so stark auf ihre Smartphones fokussiert sind, dass es scheint, als würden sie mit Scheuklappen durch die Welt gehen, bleiben stehen und betrachten das Projekt. 

Verantwortlich für diese Falle sind die drei Studenten Julia Bienenmann, Ruben Jacobowsky und Dennis Swienty. Sie stellen noch bis Freitag ihre Semesterarbeit im Seminar für Kulturanthropologie des Textilen in dem Wohnwagen aus. Sie sind die dritte und letzte Gruppe aus dem Seminar, die ihre Arbeit in der Kurzzeit-Galerie präsentiert. Mit ihrem außergewöhnlichem Konzept sorgten die drei schon einen Tag nach der Installation des Kunstwerkes für viel Aufsehen. Grund dafür ist vor allem die auditive Komponente der Ausstellung: Eine insgesamt 20-minütige Aufnahme einer jungen Frau schallt von 10 bis 16 Uhr aus dem Lüftungsschaft des Wohnwagens.

Die „Smombies“ glauben, sie haben eine neue Nachricht bei Whatsapp bekommen

Die "Smombie"-Falle

Die „Smombie“-Falle auf dem Weg zur EF50.

Die Aufnahme begleitet – im Zeitraffer – den Tag eines Mädchens, dass nur auf ihre neuen Whatsapp-Nachrichten konzentriert ist und dabei das echte Leben außer Acht lässt. Den Whatsapp-typischen Benachrichtungston bekommt fast jeder, der die mobile Galerie passiert, zu hören. Einige schauen direkt verwundert auf den Wohnwagen, den sie zuvor nicht richtig wahrgenommen haben. Andere greifen direkt nach ihrem Mobiltelefon in der Jackentasche oder tippen etwas hektischer als zuvor auf dem Smartphone, dass sie eh schon in der Hand halten. Nach wenigen Sekunden fällt den letzten beiden Arten von „Smombies“ auf, dass es keine neue Whatsapp-Nachricht zu überfliegen gibt. Nun ist auch ihr Blick auf den Wagen gerichtet.

Der Blick fällt auf die Scheiben des Anhängers. Die Farbkombinationen von gesendeten, empfangenen und zugestellten Nachrichten erkennt der gemeine „Smombie“ schnell. Vergrößerte und gedruckte Screenshots von Whatsapp-Chat-Verläufen sind von innen auf die Scheiben geklebt. Der nächste Blick geht auf die im Aussteller liegenden Postkarten. Ein ungewöhnlicher Anblick für die „Smombies“ der TU Dortmund: Auf der Postkarte ist ein Sticker mit einem rot durchgestrichenen Whatsapp-Symbol abgebildet – mitnehmen und aufkleben erwünscht.

Foto: Dorothea Schmitz

Chatverläufe am Fenster des „Dienstwagens“.

Diese Verhaltensweise der „Smombies“ beobachten die Fallen-Bauer mit Freude. Julia, Ruben und Dennis sind ja überhaupt erst durch die „Smombies“ dieser Welt auf die Idee zu dem Projekt gekommen, wie die drei berichten: „Der Einfall kam uns, weil „Smombie“ zum  Jugendwort des Jahres 2015 gewählt wurde.“. „Smombie“ setzt sich aus den Wörtern Zombie und Smartphone zusammen. Menschen, Erwachsene, Jugendliche und Kinder, die den Blick von ihrem Smartphone in kaum einer Situation heben können. Sie laufen wie Zombies durch die Welt, ferngesteuert und dabei stets auf der Jagd nach einer neuen Nachricht, einem neuen Like oder einer neuen, uninteressantesten Twitter-Weisheit.

Man redet nicht mehr miteinander, man chattet

Die drei Studis stellen sich nicht über die „Smombies“: „Wir nutzen es selbst. Wir wollen Whatsapp nicht boykottieren, aber an die Nutzer appellieren, wieder mehr menschlichen Kontakt in der echten Welt zu haben! Wir haben einige unserer eigenen Chatverläufe vergrößert und an die Scheiben geklebt. Bei uns selbst ist uns aufgefallen, dass wir auch wenn wir nebeneinander sitzten, manchmal mehr über Whatsapp kommunizieren, als miteinander zu sprechen.“ Deshalb ist das Motto auch: „Communication? Communicate!“. Für einen Moment den Blick heben, die Umwelt und den Menschen vor sich erkennen. Mit ihm zu kommunizieren, wie es über eine Textnachricht trotz 1000 Emojios nicht möglich ist: Mit Betonung, Körpersprache, Blicken, Berührungen, Mimik und Geruch.

Julian, Ruben und Dennis haben es geschafft: Die eigentlich vorbeischleichenden „Smombies“ bleiben stehen, schauen sich um. Nehmen ihre Umwelt, Mitmenschen und den kleinen Weckruf wahr. Für den Moment und vielleicht – durch den Appell der drei Künstler – für weitere Augenblicke.

Der Dienstwagen
Der „Dienstwagen“ ist ein mobiler Ausstellungsraum für Projekte von Studenten. Die akademische Rätin für Gestaltung Silke Wawro am Seminar für Kulturanthropologie des Textilen hat den Wagen vor zwei Jahren auf eigene Faust gekauft und ihn zusammen mit und für Studenten zu einem „White Cube“ (einem leeren, weißen Ausstellungsraum) umgebaut. Wawro wollte etwas für ihre Studenten und das kleine, für ihren Geschmack viel zu unbekannte Fach tun.

Silke Wawro hat den „Dienstwagen“ eigens für ihre Studenten angeschafft

Fotos: Dorothea Schmitz

TU? KU! – Die künstlerische Universität

$
0
0

Technische Universität steht nicht nur für Schrauben und Planen, auch die Kunst kommt an unserer Uni nicht zu kurz. Autor Marlon Schulte hat sich mit der Kamera auf dem Campus umgesehen und die Eindrücke und Orte festgehalten, die der sonst so kühlen und kahlen Uni-Kulisse trotzen. In unserer digitalen Bilder- und 360-Grad-Galerie seht ihr die bunten und formenfrohen Seiten der TU.

Den Titel Technische Universität trägt die Uni Dortmund wegen ihres Angebots an Ingenieurfächern und den Naturwissenschaften. Das heißt aber nicht, dass die TU nicht auch künstlerisch einiges auf dem Kasten hat. In der [ID] factory, hinter dem Chemiegebäude, oder in den Fluren der Kulturanthropologie geht es zwar technisch zu, allerdings im höchst künstlerischen Sinn.

In diesen Räumen, in der vierten Etage der EF50, befinden sich die Seminarstätten der Kulturanthropologie des Textilen. Dieses Seminar gehört zur Fakultät der Kunst und- Sportwissenschaften. Hier dreht sich alles um das Thema Textilien, in all seinen Formen und Farben. In unserer Galerie und der 360-Grad-Ansicht könnt ihr einige Arbeiten der Studierenden begutachten und die gewohnten Seminarräume der EF in einer neuen Kulisse sehen.

Ein persönlicher Blick in die Werkstatt der Kulturanthropologie

Das ist ein 360-Grad-Bild. Durch das Gedrückthalten und Umherziehen der Maus, kann sich der Nutzer selbst im Kunstraum umschauen. Vollbild ist möglich

Auf der anderen Seite des Campus erstellen die Studierenden Plastiken, Skulpturen, Malereien und alles Andere, was man am künstlerischen Horizont sehen kann. Die [ID] factory gehört zur Fakultät der Kunst- und Sportwissenschaften und versteckt sich auf dem Campus hinter den Chemielaboren. Auf mehreren Etagen erstrecken sich Ateliers für Kunstschaffende, die angemietet werden können. Die Plätze werden nach Sichtung der Arbeiten der Studierenden vergeben und wer einen Platz erhält, der kann sich in voller Breite ausleben. Platz, Farbe und Inspiration gibt es in den Kunsthallen ausreichend und wer meint, dass es an der TU keine schöne Ecke gibt: die [ID] factory beweist das Gegenteil.

Beitragsbild und Bilder aus der Galerie: Marlon Schulte


Nordkorea: Im Netz der Lügen

$
0
0

Bild 03_MBUSIN_Meine Schwestern © Kundschafter Filmproduktion GmbH

Regisseurin Sung-Hyung Cho (auf dem Foto rechts) ist Deutsche geworden, um nach Nordkorea einreisen zu können. In ihrem neuen Film reist sie auf den Spuren ihrer Kindheit durch ein diktatorisch regiertes Land – und will die Menschen hinter der grauen Mauer kennenlernen. Das gelingt ihr nur zum Teil.

Am Anfang liegt er vor ihr, der neue Pass. In Hessen wohnt die gebürtige Südkoreanerin Sung-Hyung Cho schon lange. Um aber für ihren neuen Film nach Nordkorea einreisen zu können, musste sie auch Deutsche werden. Denn wenn eine Südkoreanerin ohne die Erlaubnis der südkoreanischen Regierung nach Nordkorea einreist, kann sie davon ausgehen, bei der Rückkehr am Flughafen in Seoul verhaftet zu werden – als Staatsverräterin. 

Auf der koreanischen Halbinsel sind der eiserne Vorhang und der kalte Krieg noch allgegenwärtig. Zum ersten Mal überhaupt ist es einer Südkoreanerin jetzt gelungen, einen Film im Land jenseits der Grenze zu drehen. Was wir von diesem Land zu sehen bekommen, das ist eigentlich immer das Gleiche. Militärparaden mit Panzern und Raketen, Kriegsdrohungen und nicht zuletzt die drei Generationen der brutalen Kim-Diktatoren. Sung-Hyung Cho möchte nun hinter diese Fassade blicken. Und die Menschen treffen. Sie macht sich auf die Reise durch ein abgeschottetes Land, oder wie sie es ausdrückt, durch „ein unverstandenes Land“. 

Die Regisseurin hat keine Scheu, sich selbst zu inszenieren

„Ein lächelnder Nordkoreaner passt nicht in unser Bild“, sagt Sung-Hyung Cho und möchte das Gegenteil zeigen. So trifft sie einen Ingenieur, eine Soldatin, eine Gruppe Näherinnen. Den Ingenieur begleitet sie bei seiner Arbeit im Schwimmbad, die Soldatin besucht sie zu Hause, mit der Näherin trifft sie sich in der Kleiderfabrik. An allen drei Orten herrscht strikte Disziplin, im Schwimmbad seien Bikinis tabu, zuhause gehorche man der Mutter, in der Fabrik wird sich in der Pause der Körper mit Gymnastik fit gehalten.

Das zumindest erzählen die Protagonist*innen der Regisseurin, die keine Scheu hat, auch selbst vor der Kamera zu stehen. Sie erzählen ihr aber noch viel mehr. Und geben auch scheinbar Privates preis. „Ich möchte noch mehr arbeiten, um unserem General noch besser dienen zu können“, sagt etwa Näherin Ri Gum Hyang. „Aha“, sagt Sung-Hyung Cho, und nickt verständnisvoll mit dem Kopf.

Spätestens jetzt wird dem Zuschauer klar, dass irgendetwas nicht stimmen kann mit diesem Film. Ja, vielleicht sogar mit diesem Volk. Und in der Tat ist es kein Film wie jeder andere. Denn alle Protagonist*innen des Films haben eine Sache gemeinsam. Sie sind keine Zufallsbekanntschaften, sondern wurden vom Regime ausgewählt. 

Am Ende bleibt der Zuschauer ein kleines bisschen verloren zurück

Die Regisseurin selbst geht neutral an die Persönlichkeiten heran und lässt sie einfach erzählen: Geschichten aus einem abgeschotteten Land. Aber eben auch Geschichten aus der Feder des diktatorischen Staates. Und der weiß genau, wie die Zuschauer das Land sehen sollen: Als Land mit Tradition und Fortschritt. Als Land der Glücklichen und Erfolgreichen. Und als friedliches Land, das sich nichts sehnlicher wünscht als eine Wiedervereinigung mit dem Süden. 

Sung-Hyung Cho kommentiert dieses Bild nicht. Sie gibt es an die Zuschauer weiter, ungefiltert.  Ob sie das bewusst tut, das wird nicht ganz klar. Und so entsteht der Verdacht, dass sie sich ein klein wenig im Netz der staatlichen Filmemacher verheddert. Da sie das Geschehen nicht einordnet, fehlt es dem Film an einer klaren Botschaft. Und so bleibt der Zuschauer trotz außergewöhnlicher Eindrücke doch ein kleines bisschen verloren zurück. In dieser Welt eines totalitären Staates, hinter der grauen Mauer aus Illusionen.

„Meine Brüder und Schwestern im Norden“ läuft am Donnerstag (14. Juli) im Kino an. In Dortmund ist der Film im sweetSixteen-Kino im Depot zu sehen, in Bochum zeigt das Kino Endstation im Bahnhof Langendeer den Streifen.

Beitragsbilder: Kundschafter Filmproduktion

Hunderte Kunstwerke der Stadt Dortmund verschwunden

$
0
0

Eine Vielzahl von Kunstwerken in städtischem Besitz ist plötzlich nicht mehr auffindbar. Die Ruhrnachrichten berichten, dass allein im Kunstarchiv Dortmund 528 Werke fehlen. Im Museum Ostwall sind demnach 111 Kunstwerke verschwunden. Der entstandene Schaden bewege sich im sechsstelligen Bereich. 

Ein Wirtschaftsprüfer hatte die Kunstwerke kürzlich sichten wollen, um die Zahlen des städtischen Kunstbetriebs zu kontrollieren. Einige Werke, die noch in der Buchführung des Jahres 2015 gelistet waren, seien plötzlich nicht mehr auffindbar gewesen. Es wurde daraufhin eine Inventur aller Werke angeordnet. Erst da wurde das Ausmaß des Schadens ersichtlich: Es fehlen wahrscheinlich mehr als 600 Werke.

Der Chef der städtischen Kulturbetriebe Kurt Eichler findet die Aufregung um die verschwundenen Werke übertrieben. Es sei normal, dass mal etwas abhanden komme, sagt er. Bislang hatte die Stadt Dortmund die Anzahl der Werke nicht öffentlich preisgegeben.

Die Kunst im Smartphone

$
0
0

Kunst als unnahbare und hochtrabende Angelegenheit für Wenige? Nicht in Arnsberg im Sauerland. Mithilfe einer App hat die Stadt ihre Kunst digitalisiert. Objekte im öffentlichen Raum können nicht mehr nur analog mit einem Flyer vor Ort besucht werden, sondern auch von unterwegs mit dem Smartphone. Das Fazit nach dem Test: So könnte die digitale Kunstvermittlung der Zukunft aussehen.

Jahrelang bin ich in Arnsberg zur Schule gegangen und kenne die Stadt gut. Doch vor drei Jahren habe ich mitten auf einem Platz in der Stadt einen etwa 70 cm dicken Baumstumpf bemerkt. Zum ersten Mal, denn ich war mir sicher: Der war vorher noch nicht da und ein ausgewachsener Baum erst recht nicht. „Das ist Kunst!“, wurde ich später aufgeklärt. Aha, der abgesägte Baum ist also Kunst, aber mit einem scheinbar gewöhnlichen Stumpf kann ich überhaupt nichts anfangen. Kunstinteressiert bin ich zwar, aber den Zugang zum Kunstwerk finde ich nicht immer auf Anhieb, erst recht nicht ohne Hinweisschilder.

Die „Blitzaleiter-Anlage“ als weiteres Kunstwerk der Tour. Foto: Daniel Weber

Kunst sollte meiner Meinung nach den Impuls zum Weiterdenken ermöglichen. Für diesen Baumstumpf gab es so einen Impuls aber bisher nur durch einen Infoflyer, den die Stadt herausgegeben hat und den man sich extra im Kulturbüro oder der Tourist-Information abholen musste. Der abgesägte Baum ist nämlich eine von insgesamt elf Stationen, die Teil der sogenannten „Kunsttour“ von Arnsberg sind. Die Kunstwerke selbst sind nicht mit Tafeln oder Schildern gekennzeichnet, sodass man immer auf zusätzliche Informationen aus dem Flyer angewiesen war. Seit drei Monaten geht das Ganze aber auch anders: digital mit einer App.

So funktioniert die digitale Kunsttour

Die Idee hinter der App „Kunsttour-Arnsberg“ ist einfach: Hat man sie heruntergeladen, schaltet man Bluetooth ein und bewegt sich – gezielt oder planlos – durch die Stadt. Nähert man sich einem der Kunstobjekte, erhält man durch kleine, an den Kunstwerken angebrachte Sender, sogenannte Beacons, eine Push-Benachrichtigung. Öffnet man die Nachricht, findet man Wissenswertes zum Gegenstand. Es gibt nicht nur Texte, sondern auch die dazugehörigen Audioausgaben sowie Fotos und Videos, die die Kunstobjekte aus mitunter schwer erreichbaren Perspektiven zeigen. Auch mit Augmented Reality, also „ergänzter Wirklichkeit“ wird gearbeitet, sodass man durch 360°-Aufnahmen auch virtuell um das Kunstwerk herumlaufen kann, ohne direkt vor Ort zu sein. 

Beim Baumstumpf-Kunstwerk sieht die Erkundung in der App so aus:

Entscheidet man sich für den virtuellen Rundgang von Kunstwerk zu Kunstwerk ohne tatsächlich durch die Stadt zu laufen, könnte die Navigation in der App etwa wie in der Abbildung oben aussehen. Auf einem Stadtplan sind die verschiedenen Stationen der Kunsttour eingetragen und manuell auswählbar. Hinter der Nummer Drei verbirgt sich „History Apparatus“, wie der Baumstumpf mitten auf Platz heißt. Wählt man die Station aus, stehen im nächsten Schritt die bereits erklärten Optionen zur Auswahl, mit deren Hilfe man sich informieren kann. Der Stumpf stammt von einem 400 Jahre alten Kastanienbaum, der nachträglich in das Stadtbild eingefügt wurde. Als analoge Manipulation lässt er Betrachter sich die Ausmaße eines gewaltigen Baumes mit imposanter Krone vorstellen; der Effekt des Kunstwerks findet also in erster Linie im Kopf statt. 

Barrierefrei und ortsungebunden

Andreas Jansen (l.) und Ingo Männer stellen ihre App vor. Foto: Pressestelle Arnsberg

Für Ingo Männer, einen der App-Entwickler, „ist eine App kein Ersatz für etwas, sondern eher eine Erweiterung“ – dementsprechend freut er sich, dass durch diese digitale Tour auch ein größerer Personenkreis angesprochen wird. Gerade junge Leute und Menschen mit Beeinträchtigungen sollen die Kunst in der Öffentlichkeit so erleben können, wie es ihnen am besten passt. Die Kunst solle durch die App „weniger elitär“ und für möglichst viele Menschen erreichbar sein.

Gleichzeitig stellt die App einen Ansatz dar, in der Kunst- und Wissensvermittlung neue Wege zu beschreiten. Im Museumsbereich etwa bestehe laut Männer die Möglichkeit, den visuellen Eindruck von Ausstellungsstücken und klassischen Lesetafeln mithilfe neuer technischer Hilfsmittel zu erweitern. Ihm ginge es darum, eine spannende Interaktion zwischen den Menschen und dem Gezeigten herzustellen – frontale Wissensvermittlung sei weder effektiv noch zukunftsweisend.

Die Köpfe hinter der App

Digitalisierung findet nicht nur in Großstädten statt

Eine Frage hat sich mir aber noch gestellt: Warum ausgerechnet Arnsberg? Warum geht man mit einer App aufs Land, und nicht beispielsweise in eine große Stadt wie Köln? Die Antwort: Zum einen hatte Arnsberg mit seiner Kunsttour schon ein bestehendes Projekt, das nicht erst entwickelt werden musste. Somit konnte bei der Entwicklung der App auf das bereits vorhandene Konzept und bestehende Netzwerke zurückgegriffen werden. Zum anderen war es Arnsberg und dem Start-Up-Unternehmen wichtig, die Digitalisierung ein Stück weit auch in die Provinz zu bringen. Mit seiner räumlichen Nähe zu größeren Städten wie Dortmund, Essen und Münster hat Arnsberg quasi permanent vor Augen, wie das digitale Leben auch im städtischen Bereich fortschreitet. So bietet etwa die Stadt Essen die App ESSEN.Erfahren an, mit der man die Radrouten der Metropole erkunden kann. 

Eine digitale Kunsttour ist aber etwas Neues und, wie ich finde, Zukunftsweisendes für die Vermittlung von Wissen. Natürlich spricht auch die App in erster Linie Menschen an, die sowieso schon Interesse an Kunst haben und gerne mit dem Smartphone unterwegs sind. Wer generell keinen Spaß an Kunst hat, wird durch die App mit Sicherheit nicht zum Kunstliebhaber konvertieren – und ein Must-Have als Summer-Gadget 2017 ist diese App wahrscheinlich auch nicht. Sie ist viel eher eine sinnvolle Erweiterung, wenn es darum geht, mit Kunst in Kontakt zu kommen und sich mit ihr auseinanderzusetzen. Und es muss ja auch nicht bei Kunst bleiben: Wissen umgibt uns in unserem Alltag überall, und die Weitergabe via Smartphone ist nun einmal das Konzept der Zukunft – indivduell auf den Nutzer zugeschnitten und durch die neuen Technologien oft spannender als in analoger Form. 

 

Beitragsbild und Screenshots aus der App: Daniel Weber

Dortmunder Kulturausschuss berät über verschwundene Kunstwerke

$
0
0

Der Kulturausschuss der Stadt Dortmund berät am Dienstag (20. Juni 2017) über rund 100 verschwundene Kunstwerke aus dem Museum Ostwall. Die Stadt soll das Verschwinden der Kunstwerke verheimlicht haben.

Nach Angaben des WDR weiß die Stadt Dortmund schon seit 2009 von den verschwundenen Werken. Vor dem Umzug des Museums Ostwall in den Dortmunder U-Turm sei damals nämlich eine Inventur durchgeführt worden. Bis heute gibt es jedoch noch keine offizielle Erklärung der Stadtverwaltung. Bekannt geworden war das Verschwinden im vergangenen Jahr, nachdem ein Wirtschaftsprüfer festgestellt hatte, dass aus dem städtischen Besitz über 600 Skulpturen und Gemälde fehlen. Der Chef der städtischen Kulturbetriebe hatte damals zugegeben, dass rund 500 Werke verschwunden seien. Die verschwundenen Werke aus dem Museum Ostwall hatte er nicht erwähnt.

Einige Werke sollen beschädigt sein und stehen aus diesem Grund nicht mehr in der städtischen Bilanz. Die Fraktionen von CDU und Grünen im Dortmunder Stadtrat planen, nach der Sitzung am Dienstag einen Rechnungsprüfer einzuschalten.

 

Zwei Stunden Kunst statt „Krickelkrakel“

$
0
0

Dicke Bücher belasten den Rücken, im Kino zahlt man für Überlänge drauf. Zeit ist Geld – im wahrsten Sinne. Wofür also die knappe Freizeit verwenden? Wir lesen, spielen und schauen für euch – nach zwei Stunden hören wir auf. Entweder, weil wir fertig sind oder weil die Zeit um ist. Heute üben wir Schönschrift – fast so wie damals in der Grundschule. Der Wecker ist gestellt, los geht’s:

„Handlettering“ erobert zurzeit das Netz: Auf Pinterest und Instagram zeigen immer mehr Blogger, wie sie aus Buchstaben ganze Kunstwerke erschaffen. Was für unsere Großeltern selbstverständlich war, ist heute ein Social-Media-Trend. Statt schnell etwas in die Tasten zu hauen, wird wieder der Stift in die Hand genommen. Nach der Grundschulzeit wird normalerweise der Füller gegen einen Kugelschreiber getauscht, Einladungen werden gemailt und Geburtstagskarten im nächsten Geschäft gekauft, damit jeder nur noch unterschreiben muss. Aber es geht auch anders. 

Schnelldurchlauf

Feder in die Tusche tauchen, schreiben, fertig: soweit der Plan, als ich den Dortmunder Kulturort „Depot“ betrete. Damit es mit der Schönschrift professionell klappt, besuche ich das Atelier von Heike Kollakowski. Schließlich gehört die Schönschrift für die Diplom-Designerin zum Beruf.

Mit der schrägen Spitzfeder schreibt man automatisch im 45 Grad-Winkel. Foto: Pia Billecke

Zwei Stunden lang geht es bei ihr um die Kalligrafie mit der Spitzfeder. Während beim „Handlettering“ mit Stiften und Pinseln ein ganzes Kunstwerk geschaffen wird, möchte ich zunächst mit der Grundlage anfangen: einzelnen Buchstaben. Denn da besteht Nachholbedarf. Während ich in den Vorlesungen nur wahllos auf mein Blatt kritzele, geht es nun um Präzision. 

Bei der Kalligrafie wird nichts dem Zufall überlassen. Welcher Strich dick sein muss, welcher dünn und wo Verzierungen das Bild abrunden sollen, ist vorgegeben. Dabei orientieren sich die meisten Stile an der englischen Schreibschrift. Die erkennt man an der extremen Schräglage – die Wörter werden also kursiv geschrieben. Ebenfalls typisch: Einzelne Buchstaben, meist am Anfang des Wortes, stechen wegen besonders auffälliger Verzierungen hervor. Umso schwieriger ist es aber, die Feder so über das Blatt zu bewegen, dass die Schreibschrift am Ende auch erkennbar ist.

Immerhin habe ich nach zwei Stunden trotzdem ein Glückserlebnis: Mein Name ist in schwarzer Tusche halbwegs vernünftig zu erkennen. Während ich mich sonst immer beschwere, einen so kurzen Namen zu haben, bin ich heute mehr als froh darüber. 

 

Langatmig 

Ein einfacher Strich hat mich noch nie so viele Nerven gekostet. Doch selbst beim Schönschreiben ist das Aufwärmen Pflicht. Und das funktioniert eben nur, indem ich Reihe für Reihe Striche und Kringel übe. „Erst eine ganz feine Linie machen, dann dicker werden und am Ende wieder ganz dünn“, lautet die Anweisung der Künstlerin.

Um ein Gefühl für die Feder zu bekommen, fängt man mit Strichen und Kringeln an. Foto: Billecke

Um Effekte mit der Feder und Tusche zu erschaffen, sind die richtige Handhaltung und vor allem der richtige Druck wichtig. Und da wird es fast schon mathematisch: Geschrieben wird im 45 Grad-Winkel zum Blatt. Für eine feine Linie muss ich mit der Feder quasi über das Blatt schweben. Denn übe ich Druck aus, spreizt sich die Federspitze und es wird mehr Tinte freigegeben.

Das Ergebnis nach dem Aufwärmen: Meine Striche werden entweder immer dann dick, wenn sie dünn sein sollen, oder sind erst gar nicht zu sehen, weil zu wenig Tusche auf der Feder ist. Aber wer Kalligrafie lernen möchte, muss geduldig sein. „Das ist eben eine Übungssache“, sagt Heike Kollakowski. 

Momentaufnahme

Die Uhr im Atelier tickt leise vor sich hin. Wie spät es gerade ist, kann ich trotzdem nicht sagen. Dafür ist das weiße Blatt Papier vor mir auf dem Tisch einfach zu spannend. Der erste Buchstabe meines Namens, das P, bereitet mir Sorge. Zum einen gelingen mir die Rundungen nicht, zum anderen frage ich mich: Lieber noch mehr Schnörkel? Vor einer Stunde hätte ich mich für so ein banales Problem selbst ausgelacht. Doch einmal mit der Kalligrafie angefangen, packt mich der Drang nach Perfektion.

Konzentration ist bei jedem Buchstaben gefragt. Foto: Heike Kollakowski

Ein seltsames Geräusch macht mich zudem nervös. Wenn ich mit der Feder über das Papier gehe, ist ein Kratzen nicht zu überhören. Doch die Expertin beruhigt. „Solange man das Papier nicht wirklich mit ausreißt, ist das kein Problem“, sagt Heike Kollakowski. Bei ihr zeigt sich die jahrelange Übung. Die Künstlerin führt die Feder so geschmeidig über das Blatt, dass das unbeliebte Kratzen völlig ausbleibt. 

Nur die Musik, die im Hintergrund läuft, ist währenddessen im Atelier zu hören. Die Melodien erinnern ein bisschen an eine Wanderung durch den Märchenwald. Und tatsächlich ist man nach inzwischen rund eineinhalb Stunden in einer anderen Welt angekommen. Und in dieser Welt muss man sich eben um nichts anderes Gedanken machen als darum, ob das P so nun auch wirklich gut aussieht. 

Zeit ist um 

Eines ist nach zwei Stunden klar: Wer sich für Kalligrafie interessiert, muss auch mal langsam arbeiten können. Was ich in den zwei Stunden – außer verschnörkelter Buchstaben – gelernt habe, ist, sich für Dinge wieder Zeit zu nehmen. Dann wird nicht nur das Ergebnis besser. Auch Entspannung ist ein Nebeneffekt beim Schönschreiben. 

Um die nächste Einladungskarte selbst kunstvoll beschriften zu können, reichen zwei Stunden allerdings nicht aus. Damit das Ergebnis wirklich etwas mit Kunst zu tun hat, muss man regelmäßig üben. Nach meinen Übungsstunden bin ich mir aber sicher, dass sich der Aufwand lohnt – spätestens, wenn an Weihnachten selbst geschriebene Wünsche in die Briefkästen der Freunde flattern. Allein eine schwungvoll geschriebene Anschrift auf einem Briefumschlag hat heutzutage schließlich Seltenheitswert. Mich hat der Ehrgeiz auf jeden Fall gepackt. Und außerdem habe ich ja noch einen Nachnamen, der geschrieben werden will.

Und wer wirklich sehr, sehr viel Zeit investiert, kann am Ende dann vielleicht auch solche Kunstwerke erschaffen: 

 

 

Beitragsbild: Pia Billecke

Viewing all 33 articles
Browse latest View live